
Wie nimmt die Schweizer Bevölkerung den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das soziale Miteinander in einer zunehmend digitalen Welt wahr? Welche Chancen und Risiken werden dabei konkret erkannt?
Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist in der heutigen Zeit von besonderer Bedeutung, da zahlreiche Krisen – von globalen Pandemien über geopolitische Konflikte bis hin zu wirtschaftlichen Unsicherheiten und der Klimakrise – bestehende soziale Strukturen herausfordern und die Stabilität von Gemeinschaften auf die Probe stellen. In Zeiten, in denen gesellschaftliche Spaltungen zunehmen und das Vertrauen in Institutionen erodiert, stellt sich umso dringlicher die Frage, welche Rolle die Digitalisierung in diesem Spannungsfeld spielt: Trägt sie dazu bei, Menschen einander näherzubringen und kollektive Lösungen für komplexe Herausforderungen zu ermöglichen? Oder verstärkt sie bestehende Ungleichheiten und gesellschaftliche Brüche, indem sie Desinformation, Polarisierung und soziale Isolation begünstigt?
Digitale Technologien können Solidarität und Engagement fördern, etwa durch schnelle Informationsverbreitung oder neue Möglichkeiten der politischen Teilhabe. Doch sie bergen auch die Gefahr, Parallelwelten zu schaffen, die Entfremdung begünstigen. Auch der Zusammenhalt zwischen den Genrationen steht im Kontext der Digitalisierung vor neuen Herausforderungen, zum Beispiel was die Nutzung neuer digitaler Kommunikationsformen und -wege beinhaltet (Frisch et al., 2025).
Um gezielte Lösungen für bestehende Herausforderungen zu entwickeln, ist es wichtig zu verstehen, wie die Bevölkerung die Digitalisierung im Hinblick auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt wahrnimmt.
Top 3 Chancen und Risiken der Digitalisierung für den Zusammenhalt

Stärkung des lokalen Engagements unter den Top 3 Chancen
Wir haben die Bevölkerung nach den Top 3 Chancen und Risiken der Digitalisierung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das soziale Zusammenleben der Schweiz gefragt. Rund die Hälfte der Bevölkerung (51 %) sieht im digitalen Wandel eine erhebliche Chance, durch lokales Engagement den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Schweiz zu stärken – beispielsweise durch Nachbarschaftshilfe oder lokale Bürgerinitiativen. Besonders erfreulich ist, dass dieser Aspekt zu den drei wichtigsten Chancen gezählt wird, da er das grosse Potenzial für digitale Lösungen im sozialen Bereich aufzeigt (zum Beispiel Freiwilligenplattformen, Apps zur Organisation von Nachbarschaftshilfe, digitale Bürgerinitiativen). In der italienischsprachigen Schweiz wird das lokale Engagement sogar als grösste Chance der Digitalisierung wahrgenommen (78 %).
Interessanterweise unterscheidet sich die Wahrnehmung der Top 3-Chancen je nach Altersgruppe: Während in der Gesamtbevölkerung das lokale Engagement auf Platz 3 steht, sehen die 16- bis 25-Jährigen auf Platz 3 der Chancen der Digitalisierung die neuen Möglichkeiten der politischen Beteiligung (46 %). Digitale Tools ermöglichen es jungen Menschen, sich direkter und niedrigschwelliger in politische Prozesse einzubringen, beispielsweise durch Online-Petitionen, digitale Abstimmungssysteme oder den verstärkten Dialog über soziale Medien.
Schwächen als Potenzial: Drei Viertel sehen Modernisierung der Verwaltung und Transparenzsteigerung als Chance für Zusammenhalt
Die digitalen Behördenleistungen und die digitale Verwaltung werden im Vergleich zu Nachbarländern von 37 % der Schweizer Bevölkerung als Schwäche wahrgenommen (siehe Kapitel 2). Diese Wahrnehmung deutet auf einen klaren Handlungsbedarf hin, der jedoch gleichzeitig als Potenzial für Verbesserung erkannt wird: 76 % der Befragten sehen in der Modernisierung der öffentlichen Verwaltung und der damit einhergehenden Transparenzsteigerung staatlichen Handelns eine Chance, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das soziale Miteinander zu stärken. Durch eine effizientere und benutzerfreundlichere digitale Verwaltung könnten Barrieren abgebaut, der Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen vereinfacht und das Vertrauen in staatliche Institutionen gestärkt werden. Dieses wahrgenommene Potenzial geht Hand in Hand mit einer weiteren wahrgenommenen Schwäche: dem Umgang mit Personen, die nicht mit der Digitalisierung Schritt halten können (siehe Kapitel 2). Eine moderne, digitale Verwaltung könnte durch inklusive, benutzerfreundliche Angebote dazu beitragen, diese Kluft zu verringern und den Zugang zu Behördendienstleistungen für alle zu gewährleisten. Zusätzlich wird als zweitgrösste Chance der verbesserte Zugang zur Bildung genannt, mit 65 % der Befragten, die darin ein enormes Potenzial sehen. Hybride Lernangebote und digitale Tools ermöglichen eine flexiblere, chancengerechtere Bildung und tragen dazu bei, dass mehr Menschen unabhängig von ihrem Wohnort oder ihrer Lebenssituation an Wissen und Weiterbildung teilhaben können.
Politische Orientierung und Bildung prägen Sicht auf Risiken der Digitalisierung für gesellschaftlichen Zusammenhalt
Während die Chancen der Digitalisierung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt einheitlich wahrgenommen werden, gehen die Meinungen über die grössten Risiken stärker auseinander. Drei Bedrohungen stehen dabei im Vordergrund der Risikowahrnehmung: Mit Abstand am häufigsten wird Manipulation und Desinformation als Risiko genannt (78 %). Dies untergräbt das Vertrauen in demokratische Prozesse und verstärkt gesellschaftliche Unsicherheiten. An zweiter Stelle stehen der fehlende soziale Austausch und eine abnehmende Solidarität (51 %). Digitale Kommunikation ersetzt zunehmend persönliche Begegnungen, was langfristig zu Entfremdung führen kann. Gesellschaftliche Polarisierung und Spaltung (45 %) ist das am dritthäufigsten wahrgenommene Risiko. Soziale Netzwerke können extreme Positionen verstärken und die Fragmentierung der Gesellschaft fördern. Spannend ist, dass sich die Risikowahrnehmung deutlich nach Bildungsniveau und politischer Orientierung unterscheidet: Hochschulabsolvent:innen sehen Polarisierung deutlich häufiger als Gefahr als Menschen ohne nachobligatorische Ausbildung (66 % vs. 22 %). Möglicherweise sind Hochschulabsolvent: innen stärker in politischen und akademischen Diskursen eingebunden, in denen diese Problematik intensiv diskutiert wird. Auch die politische Orientierung beeinflusst die Wahrnehmung der Risiken. Während links- und mitteorientierte Personen sich weitgehend in ihrer Einschätzung der gesamtgesellschaftlichen Gefahren einig sind, bewerten rechtsorientierte Befragte gesellschaftliche Polarisierung als weniger problematisch (53 % vs. 35 %). Ein möglicher Grund, warum gesellschaftliche Polarisierung für rechtsorientierte Personen eine geringere Rolle spielt, könnte in der unterschiedlichen politischen Rhetorik liegen. Diese Unterschiede zeigen, dass die Digitalisierung nicht nur neue Herausforderungen mit sich bringt, sondern auch, dass die Wahrnehmung der Risiken stark von Bildungswegen und politischen Überzeugungen geprägt ist.
Die Schweizer Bevölkerung sieht den Zusammenhalt bedroht

Trotz unterschiedlicher Wahrnehmungen einzelner Risiken herrscht bei einer zentralen Frage ein breiter Konsens: Zwei Drittel der Bevölkerung (66 %) – unabhängig von politischer Orientierung oder Bildungsniveau – sehen den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Schweiz durch die Digitalisierung als gefährdet.
Diese verdeutlicht, dass die tiefgreifenden Veränderungen durch den digitalen Wandel gesamtgesellschaftlich als Herausforderung empfunden werden, auch wenn die wahrgenommenen Ursachen und Schwerpunkte je nach Bildung und politischer Haltung variieren. Die wachsende Verunsicherung durch schnelle technologische Veränderungen, die Verbreitung von Falschinformationen, die digitale Kluft sowie das Gefühl, dass gesellschaftliche Entscheidungen zunehmend durch technologische Entwicklungen statt durch demokratische Prozesse gesteuert werden – all diese Faktoren führen zu einem wachsenden Misstrauen gegenüber technologischen Entwicklungen. Der digitale Wandel wird nicht nur als Fortschritt, sondern auch als Herausforderung für die soziale Kohäsion empfunden.
Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird als bedroht wahrgenommen im Kontext einer immer digitaleren Welt. Dies deuten wir als alarmierend und als wichtige Handlungsaufforderung.
Die differenzierte Betrachtung der Chancen und Risiken zeigt, dass Bevölkerung aber durchaus auch Potenzial der Digitalisierung für den Zusammenhalt sieht, insbesondere in den Feldern, wo sie über die vergangenen Jahre konstant Aufholbedarf konstatierte: Die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung und die damit verbundene Steigerung der Transparenz staatlichen Handelns, der verbesserte Zugang zur Bildung und das Stärken des lokalen Engagements werden als zentrale Chancen gesehen, die den sozialen Zusammenhalt stärken können. Gleichzeitig besteht eine ausgeprägte Risikowahrnehmung in der Bevölkerung, insbesondere in Bezug auf Desinformation, gesellschaftliche Polarisierung und den Verlust von sozialer Solidarität. Besonders die unterschiedlichen Wahrnehmungen dieser Risiken, abhängig von Bildungshintergrund und politischer Orientierung, zeigen, dass der digitale Wandel nicht nur technologische, sondern auch gesellschaftliche Herausforderungen mit sich bringt.
Um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der digitalisierten Welt zu stärken, ist es entscheidend, auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Bevölkerung einzugehen. Chancen wie die digitale Modernisierung der Verwaltung, digitale Bildungsangebote und lokales Engagement sollten gezielt gefördert werden, um den digitalen Wandel positiv zu gestalten. Gleichzeitig erfordert der Umgang mit Risiken – etwa durch Desinformation und Polarisierung – wirksame Massnahmen: Die Gestaltung von verantwortungsvollen digitalen Medien, die Etablierung von Plattformen, die den sozialen Austausch fördern statt polarisierende Inhalte zu verstärken sowie letztlich auch die Stärkung von digitalen Kompetenzen in der Bevölkerung. Nur so lässt sich ein inklusiver und konstruktiver Umgang mit digitalen Technologien etablieren und der gesellschaftliche Zusammenhalt langfristig sichern.